Mit der Wahl der Vierblättrigen Einbeere (Paris quadrifolia) zur Blume des Jahres 2022 ruft die Loki Schmidt Stiftung zum Schutz dieser Pflanzenart und ihres artenreichen Lebensraumes, der alten, wilden und naturnahen Wälder, auf. Sie braucht langlebigen Wald, da sie sich nur langsam ausbreiten kann. Umgekehrt ist sie damit ein Indikator, dass es ihren baumbestandenen Standort schon lange gibt.
Die Einbeere ist eine sehr eigentümliche Pflanze, deren Schönheit sich manchen vielleicht erst auf den zweiten Blick erschließt. Sie kommt in Deutschland noch häufig vor, aber ihre Bestände gehen vielerorts zurück. In sechs Bundesländern steht sie bereits auf der Roten Liste der gefährdeten Pflanzen. Die Einbeere bildet pro Pflanzentrieb nur eine einzige Beere, sodass ihre Fernausbreitung mittels Samen begrenzt ist. Sie breitet sich vor allem unterirdisch über Erdsprosse (Rhizome) aus. Auch andere Pflanzenarten wie Buschwindröschen und Leberblümchen brauchen für ihre Ausbreitung viel Zeit, um neue Waldstandorte zu besiedeln.
Die Einbeere erobert das Erdreich
Paris quadrifolia hat eine sehr ungewöhnliche Wuchsform. Sie bildet an einem bis zu 40 Zentimeter hohen Stängel in einem Quirl allermeistens vier Blätter aus – lateinisch „quadrifolia“. Manchmal können es auch drei, fünf oder sechs Blätter sein. Unterirdisch wächst die Einbeere mit kriehenden Sprossen, so genannten Rhizomen, durchs Erdreich. Mehrere überirdische Pflanzen können so unter dem Boden miteinander verbunden sein. Die einzenen Triebe sind Klone, da sie genetisch identisch sind.
Nomen est omen
Im Mai bildet jeder Stängel eine endständige Blüte über dem Blattquirl. Die vierzähligen Blüten zeigen auffallend gelbe Staubfäden mit Pollen und unscheinbare grüne Blütenblätter. Es sind vor allem Fliegen, die die Einbeere bestäuben, aber auch der Wind verteilt die Pollen. Der Fruchtknoten ist zur Blütezeit bereits dunkel gefärbt und macht die Blüte auffälliger. Aus dem Fruchtknoten entwickelt sich im Laufe des Sommers eine einzige schwarze oder dunkelblaue Beere, in der sich die Samen ausbilden. Vögel und andere Tiere fressen sie und breiten sie mit ihren Ausscheidungen aus.
Nichts für Mensch und Hund
Achtung! Die gesamte Pflanze ist für den Menschen giftig, besonders die Beere und das Rhizom. Auch Insekten, Spinnen, Fische und Hunde vertragen sie nicht. Bei Menschen können beim Verzehr Erbrechen, Durchfall und Schwindelanfälle auftreten. Die Einbeere kann die roten Blutkörperchen, die Nieren und das Zentrale Nervensystem schädigen. Im schlimmsten Fall kann der Tod durch Atemlähmung eintreten. Da die Beeren aber sehr unangenehm und bitter schmecken, sollte es eigentlich nicht so weit kommen.
Ein echtes Waldgewächs
Die Blume des Jahres 2022 ist eine charakteristische Art für historisch alte Wälder, das heißt Wälder, die mindestens seit den letzten 200 bis 300 Jahren ununterbrochen Wälder waren. Sie kommt aber auch in jüngeren Wäldern vor. Die Art war früher vergleichsweise häufig und ist an humusreiche, etwas feuchte Laubwälder gebunden. Sie kommt in Hartholz-Auenwäldern, feuchten Buchenwäldern, Erlen-Eschenwäldern und Erlenbruchwäldern vor. Da naturnahe, feuchte Wälder durch die meist mit wirtschaftlicher Nutzung verbundene Entwässerung immer seltener geworden sind, ist die Einbeere in mehreren Bundesländern Norddeutschlands mittlerweile eine gefährdete Pflanzenart. Im waldreicheren Süddeutschland ist sie noch relativ weit verbreitet, so auch bei uns im Schwarzwald.
Es geht nicht nur um die Blume, sondern auch um den Wald
Axel Jahn, Geschäftsführer der Loki Schmidt Stiftung, verdeutlichte bei der Bekanntgabe im letzten Herbst im Hamburger Stadtpark: „Wir haben die Einbeere zur Blume des Jahres 2022 gewählt, um zum dringenden Schutz der alten, naturnahen und wilden Wälder aufzurufen, die der Einbeere und anderen Pflanzen und Tieren langfristig einen Lebensraum geben und die für die Ausbreitung notwendige Zeit.“
Wilde Wälder: Artenreiche Lebensräume und Klimaretter
Naturnahe, wilde und alte Wälder gehören zu den artenreichsten Lebensräumen unserer Landschaft. In den Höhlen und Löchern alter Bäume wohnen Mittelspecht, Eulen und Käfer. In den Baumkronen brüten Rotmilan und Schwarzstorch. Der Boden hat über Jahrhunderte mächtige Humusschichten aufgebaut, Lebensgrundlage für eine reiche Waldbodenflora, viele Mikroorganismen, Insekten, Spinnen und Pilze.
Die Einbeere ist mancherorts in Gefahr
Wilde Wälder ohne forstwirtschaftliche Nutzung gibt es nur auf drei Prozent unserer Waldfläche. Natürlicherweise würde die Rotbuche auf 75 Prozent der Waldfläche Deutschlands wachsen. Tatsächlich bestehen unsere Wälder heute überwiegend aus Kiefern und Fichten, noch dazu oft in Monokulturen, die anfällig für den Klimawandel sind. Durch Entwässerungsgräben fallen wertvolle Feuchtwälder trocken. Stickstoffeinträge aus Landwirtschaft, Verkehr und Industrie fördern in Wäldern stickstoffliebende Pflanzen wie Brombeeren, die andere verdrängen. Das Befahren mit schweren Forstmaschinen führt zu Bodenschäden, auch darunter leiden die Einbeeren und andere Wildblumen. Andererseits setzen erfreulicherweise immer mehr Förster zunehmend auf naturnahe Waldwirtschaft.
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(Fotos: Udo Steinhäuser, Marco König, Hermann Timmann, Hans Braxmeier/pixabay)
16.2.2022