Warum eigentlich „himmlische“ Trockenmauerpflege? Das frage ich mich, als ich die Einladung zur Aktion der „Herzenssache Natur“ lese. Der Name des Ortes gibt Aufschluss: Der „Engelsberg“, ein Weinberg benannt nach einem Felsen in Engelsgestalt, ist von mindestens 20 Stufen Trockenmauern mit einer Gesamtlänge von 4500 Metern durchzogen. Als ich nach einer Stunde über ungezählte Weinterrassen und Treppenstufen oben ankomme, fühle ich mich tatsächlich dem Himmel näher. Und dann lerne ich noch, wie sich Talbewohner zum Affen machten – doch davon später.
Landschaftspflege am Steilhang – auch das gehört zu den Aufgaben der Initiative „Herzenssache Natur“ im Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord. An einem düsteren, nassen Novembernachmittag finden sich überraschend viele freiwillige Helfer ein, bewaffnet mit Garten- und Astscheren. Sie wollen wucherndes Gebüsch aus den historisch und landschaftlich wertvollen Trockenmauern auf dem Hausberg von Bühlertal entfernen, damit seltene Tier- und Pflanzenarten überleben können.
Erst einmal begrüßt unten im Tal an der Tourist-Info Projektleiterin Yvonne Flesch von der Naturpark-Geschäftsstelle die über 30 Helferinnen und Helfer. Neben einigen Privatpersonen sind Schülerinnen und Schüler der ortsansässigen Dr.-Josef-Schofer-Schule, einige Auszubildende der star.Energiewerke Rastatt und sogar eine Gruppe Flüchtlinge aus Baden-Baden mit von der Partie.
Schneiden, nicht reißen
Zusammen mit dem Förderverein Engelsberg veranstaltet der Naturpark diese Aktion. Da der Weinberg nur noch zu einem kleinen Teil bewirtschaftet wird, ist dieser ehrenamtliche Einsatz erforderlich. Auch Bürgermeister Hans-Peter Braun lässt es sich nicht nehmen, die Freiwilligen willkommen zu heißen und sich für ihre tatkräftige Hilfe zu bedanken. Durch die Initiative des Fördervereins und des Naturparks sei der Engelsberg erheblich aufgewertet worden. „Ich bin auch dankbar für die neue Geschäftsstelle des Naturparks in Bühlertal und für die hervorragende Zusammenarbeit“, fügt Braun an. „Naturpark und Gemeinde profitieren davon.“
Der junge Vorsitzende des Fördervereins, Andreas Karcher, will loslegen und erklärt, worum es geht. „Wir haben hier fast die meisten Trockenmauern in der Ortenau. Damit die lange halten, ist es wichtig, die verholzenden Pflanzen wie Efeu, Brombeere und sonstiges Gebüsch herauszuschneiden.“ Und er fügt hinzu: „Wichtig ist schneiden, nicht reißen! Sonst können sich die Mauersteine lockern. Die Wurzeln können immer dicker werden und die Mauer sprengen. Damit das nicht passiert, schneiden wir sie einmal im Jahr ab.“
Schutz von Natur und Architektur
Und los geht’s. Drei Gruppen bilden sich, die unten, in der Mitte und weiter oben am Engelsberg beginnen. Mauer für Mauer arbeiten sie sich in Grüppchen waagerecht entlang, und Stufe für Stufe nach oben. Der Himmel ist tief wolkenverhangen, aber der anfängliche Regen hat aufgehört. Teilweise ist überhaupt keine Mauer mehr zu sehen, nur Efeu. Die Helfer schneiden geduldig und beharrlich jeden Strang ab. Und wofür das alles?
„Hier geht es einerseits um Naturschutz“, erklärt Andreas Karcher. „Hier leben zum Beispiel Gottesanbeterin, Schlingnatter, Mauereidechsen oder einige seltene Heuschrecken. Auch seltene kleinblättrige Farnarten gedeihen hier, wie der schwarzstielige und braunstielige Streifenfarn.“ Zum anderen geht es auch darum, diesen historischen Weinberg als Kulturdenkmal zu erhalten. „Die Trockenmauern gibt es mindestens seit 1890, nach den ältesten vorliegenden Plänen, als hier eine Straße gebaut wurde.“ Karcher weiß Bescheid, denn er hat den Engelsberg zum Gegenstand seiner Diplomarbeit als Landschaftsarchitekt gemacht. Thema: „Lebendes Weinbergmuseum und historischer Steillagen-Weinbau.“
Aus einem Landnutzungskonzept der Gemeinde Bühlertal und seiner Diplomarbeit entstand die Idee, 2009 den Förderverein zu gründen mit mittlerweile 70 Mitgliedern. Der schneidet aber nicht nur Wucherndes aus den Trockenmauern und mäht das Gras auf den Terrassen, sondern hat auch den Engelssteig angelegt. „Er soll den Besuchern die Besonderheiten von Bühlertal nahebringen“, erklärt Karcher, „und soll vermitteln, wie anstrengend die Bewirtschaftung des steilen Bergs ist. Sogar ein Klettersteig gehört dazu. Beim Hinaufsteigen darf man ruhig schwitzen.“ Das tun wir. Immer höher geht es hinauf. Steinmauern werden wieder sichtbar, abgeschnittene Triebe liegen auf dem Boden.
Die Trockenmauern werden nass
Der Himmel wird noch dunkler, schwere Tropfen fallen auf uns herab. Ich bin inzwischen auf einer der obersten Terrassen angekommen. Dort räumt die Gruppe der Flüchtlinge gerade rasch das Schnittgut auf einen Anhänger. Der Regen wird stärker. Ich sehe den zwei Wochen zuvor neu eingerichteten Naturpark-AugenBlick nur ein paar Schritte entfernt, mit Panoramatafel, Tischchen und Sitzbank – Ausgangspunkt einer Rundwanderung. Ich lasse es mir nicht nehmen, vollends die Stufen hinaufzusteigen. Trotz Wind und Wetter – der Ausblick ist grandios. Ich bin dem Himmel ganz nah – oder sollte man sagen: umgekehrt? Denn die Wolken hängen sehr tief. Und nun öffnen sie die Schleusen und zwingen uns, die Aktion nach eineinhalb Stunden abzubrechen.
Doch Karcher ist zufrieden. „Wir haben das meiste geschafft, weil wir so viele waren“, meint er. Die „obere Gruppe“ war über die abenteuerliche Weinbergstraße mit Autos heraufgefahren und in die flüchten wir uns jetzt. Die Gruppen weiter unten kehren zu Fuß zurück zum Haus des Gastes an der Bühlertaler Hauptstraße, wo Friederike Stetter vom Naturpark mit einer köstlichen Kürbiscremesuppe als Dankeschön auf uns alle wartet. Zubereitet hat sie der Naturpark-Wirt Andreas Schäuble vom Bergfriedel.
Wie sich die Talbewohner zum Affen machten

Bei der Suppe erzählt Karcher, dass der Förderverein auch Führungen macht und sogar 25 Ar Weinberg selbst pflegt. Der jährliche Ertrag sei rund 50 Kilo Trauben pro Ar. „In einem normalen Weinberg sind es 120 Kilo, aber hier auf den schmalen Terrassen sind noch die Vögel, ein steiniger Boden, viel Sonne, wenig Feuchtigkeit…“ Die Weinsorte heißt „Affentaler Spätburgunder“. Karcher erzählt die Geschichte, dass es bei Bühl eine Wallfahrtskapelle der Zisterzienser gegeben habe. Und so weit die Glocke zu hören war, sei Wein angebaut worden. Sie habe zum Ave Maria geläutet, und die Leute hätten das Tal Ave-Tal genannt. Daraus habe sich schließlich der Name Affentaler entwickelt.
(Fotos: Jochen Denker/Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord, Stefan Dangel)