Heute schauen wir uns mit unserer Kräuterfrau und Schwarzwald- Guide Monika Wurft eine Pflanze mit einer außergewöhnlichen Strategie näher an. Es geht um die Nachtkerze und darum, warum auch im Herbst eine Hymne auf sie sinnvoll ist!
Als ich mir überlegte, über welche Pflanzen ich im Oktober schreiben könnte, streifte mein Blick durch den Garten und fiel auf die Nachtkerze. Seit Juni blüht sie ohne Unterlass, bezaubert Natur und Garten mit ihren gelben Blüten und überragt alle anderen um sich herum. Doch das Besondere an der Nachtkerze (Oenothera biennis) ist ihre außergewöhnliche Strategie. Nicht der Tag, wie bei den meisten anderen Pflanzen, sondern die Nacht ist ihr Element! Denn jede Nacht führt sie ihr duftendes Blütenspektakel auf, um mit ihren leuchtend gelben Blüten Nachtfalter zur Bestäubung anzulocken. Sie hat es wahrlich verdient, dass man ihr auch im Herbst einen Artikel widmet!
So erkennt ihr die Nachtkerze
Zur Familie der Nachtkerzengewächse (Onagraceae) gehörend, ist die „Kerze der Nacht“ vielleicht dem einen oder anderen unter Namen wie Abendblume, Nachtstern, Sommerstern, Schinkenwurz und Süßwurzel bekannt. Was ihr unbedingt wissen müsst: Die Nachkerze ist zweijährig. Im ersten Jahr entwickelt sich aus einem Samenkorn zunächst eine Grundblattrosette mit schmal-lanzettlichen, oft rot überlaufenden Blättern. Erst im zweiten Jahr wächst aus ihrer Rosettenmitte ein markanter Blütenstängel in die Höhe. Ihr müsst etwas Geduld aufbringen, gerade auch beim Jäten, wenn ihr die bis zu 150 Zentimeter hohen Blütenstände bewundern wollt.
Außergewöhnliche nächtliche Strategie
Dann im zweiten Jahr, zur Blütezeit ab Juni, beginnt das abendliche Schauspiel. Ihre vier bis acht Zentimeter großen, schwefelgelben Blütenkelche, bestehend aus vier einzelnen Blütenblättern, sind zum Blühen bereit. Es lohnt sich wirklich, in der Dämmerung das Aufblühen der Nachtkerzenblüten zu beobachten. Wie im Zeitraffer öffnen sich die einzelnen Blütenkelche innerhalb weniger Sekunden. Es ist sogar ein leichtes Knistern hörbar, sobald sich die Blütenblätter entfalten. Mit dem Öffnen der Blütenkelche verbreitet sich schlagartig ein betörender vanilleartiger Duft. Und schon kommen die ersten Gäste zum Nachtmahl. Denn die Blüten bieten, wie in einer duftenden Schale, Nachtfaltern ihren Nektar an, um im Gegenzug von ihnen bestäubt zu werden. Am anderen Morgen sind die bestäubten Blüten am Verblühen und spätestens nach dem Mittag fallen sie in sich zusammen. Doch ihre unzähligen Knospen sorgen dafür, dass sich jeden Abend neue Blüten öffnen und das bis weit in den Herbst hinein.
Die Nachtkerze hat’s in sich
In der Volksheilkunde wird die Nachtkerze wegen ihrer Flavonoide, Gerb- und Schleimstoffe bei Durchfall, Husten und bei Wechseljahresbeschwerden verwendet. Es kommen Fertigarzneimittel, Salben, Sirup und Tee zum Einsatz.
Zur Teeherstellung könnt ihr drei bis vier frische Nachtkerzenblüten mit einem Viertelliter kochendem Wasser übergießen, zehn Minuten ziehen lassen, abgießen und warm trinken. Dieser duftende Tee lässt sich mit Dost, Gundermann, Melisse und Minze kombinieren.
Eine große Bedeutung in der Naturheilkunde hat das aus den Samen gepresste Nachtkerzenöl mit seinen essenziellen Fettsäuren, den Linol- und Gamma-Linolensäuren. Sowohl innerlich wie auch äußerlich angewendet wirkt es entzündungshemmend und juckreizstillend. Es kommt bei Neurodermitis, Akne, Schuppenflechte, bei rheumatischen Erkrankungen und Migräne sowie in vielen Hautpflegeprodukten zum Einsatz.
Ernte der Nachtkerze
Für die Kräuterküche kommen die ganze Saison über die Knospen und Blüten der Nachtkerze zur Ernte. Sie eignen sich bestens als essbare Dekoration und werden auf Salaten, Obst und Gemüse zum Hingucker. Mit Brennnesselsamen gefüllt gelten die geöffneten Blüten als Attraktion auf jedem Wildpflanzenbüffet. Die ölhaltigen Samen lassen sich in Gebäck, Müsli oder zum Brotbacken ähnlich wie Sesam verarbeiten.
Eine besondere Erntezeit der Nachtkerze beginnt allerdings jetzt im Herbst. Es ist die fleischige, leicht rotgefärbten Pfahlwurzel, von deren Aussehen und Geschmack wohl auch die Namen Schinkenwurz und Süßwurzel herrühren. Achtet darauf, dass ihr die Wurzel der Nachtkerzenrosette vom ersten Jahr, bis in den Frühling des zweiten Jahres hinein erntet. Sobald die Nachtkerze einen Blütenstand entwickelt, werden ihre Wurzeln nämlich zäh und holzig. Die Wurzeln könnt ihr wie Rettich als Rohkost verwenden und darüber hinaus wie Pastinake, Karotten und Schwarzwurzel als Kochgemüse. Sie werden zu Mus gekocht oder kommen als Gemüse in Eintöpfen zum Einsatz. Auch ein gezielter Anbau als Wurzelgemüse lohnt sich. Wenn das Beet tiefgründig gelockert ist, können sich lange und vor allem gerade Wurzeln entwickeln. Wer einfach nur einige Nachtkerzen wegen der Blütenpracht in seiner Umgebung und in der Blumenrabatte ansiedeln will, streut die Samen querbeet aus und wartet ab. Doch nicht vergessen: Nachtkerzen sind zweijährig!
Natur- und Gartentipp
Wenn die Nachtkerze wirklich irgendwann im Spätherbst ausgeblüht hat, könnt ihr die Samenstände einfach stehen lassen, es lohnt sich. Zum einen sorgen die über 200 Samenkörner pro Fruchtkapsel für ihre weitere Verbreitung, zum anderen werden sie von zahlreichen Gartenbesuchern sehr geschätzt. Über den Winter fallen immer wieder ganze Trupps hungriger Vögel über die reifen Kapseln her, um von den fetten Samen zu naschen.
Rezept Wilde Wurzeln
Zutaten und Zubereitung
Einige Wurzeln von Nachtkerze, Wilder Möhre und Löwenzahn waschen, fein reiben, mit etwas Frischkäse, Öl, Salz und Pfeffer vermischt abschmecken und mit Nachtkerzenblüten und -samen dekoriert auf kräftigem Vollkornbrot servieren.
Süße Blütencreme
Zutaten
Verschiedene Blüten von Nachtkerze, Malven, Klee, Glockenblumen, Klee, Gänseblümchen, 500 g Quark, etwas Sahne, Vanillezucker oder Honig.
Zubereitung
Blütenblätter auszupfen bzw. kleinschneiden. Den Quark mit der flüssigen Sahne cremig anrühren. Die kleingeschnittenen Blütenblätter unterheben und nach Geschmack süßen. Tipp: Eine Blütencreme-Variante mit Quark und Olivenöl und dazu salzig abgeschmeckt passt prima zu Pellkartoffeln.
Viel Freude mit der Nachtkerze!
Mehr Kräuterwissen gibt’s im Buch von Monika Wurft:
Monika Wurft, Mein Wildkräuterbuch, 2. Auflage März 2020 Ulmer-ISBN: 978-3-8186-1123-1
(Text und Fotos: Monika Wurft)
25.10.2022