Das SWR-Fernsehen und auch der SWR-Hörfunk waren zu Gast im Naturpark, um über die Inklusions-Schulung zu berichten, die einige Schwarzwald-Guides im März bei uns absolviert haben. Sinn und Zweck der Zusatz-Ausbildung ist es, Schwarzwald-Guides für die Probleme von Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren und sie als Multiplikatoren und Inklusionsbotschafter für das Thema zu gewinnen. Vor allem aber sollen sie in der Lage sein, barrierefreie Touren für Gäste mit Einschränkungen anzubieten, um auch für sie Natur erlebbar zu machen.
Für das Filmteam des Südwestdeutschen Rundfunks (SWR) haben wir die Schulung nochmals aufleben lassen. Kursleiter Hans-Peter Matt vom Beratungs- und Gutachterbüro mahp-barrierefrei, selbst Rollstuhlfahrer, erklärt für die Kamera, worauf es bei der Barrierefreiheit ankommt. „Wer Behinderung hört, denkt zuerst an Menschen im Rollstuhl. Doch es gibt auch Betroffene mit Seh- oder Hörstörungen, alte Menschen, die körperlich nicht mehr fit sind. Oder auch Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Eltern mit Kinderwagen brauchen ebenso barrierefreie Wege.“ Doch es gehe nicht nur um barrierefreie Strecken, Zugänge und Architektur. Eine größere Barrierefreiheit sei auch mit Hilfsmitteln erreichbar. Dazu zählen Begleitpersonen, Elektroantrieb bei Rollstühlen oder große Schrift bei Beschilderungen. Hilfreich sind QR-Codes, mit deren Hilfe man sich Texte vom Handy vorlesen lassen kann.
Barrierefreiheit in der Sprache
Auch Sprache müsse barrierefrei sein: leicht verständlich und deutlich. Matt: „Schon das Wort ‚Handicap‘ ist nicht barrierefrei. Fragen Sie mal Menschen, die nicht Englisch können – oder Golfer -, was sie unter Handicap verstehen.“ Bei der Gelegenheit erläutert er auch, wie wir sprachlich mit den Betroffenen umgehen sollten. „‚Menschen mit Behinderung‘ zu sagen ist politisch korrekt, nicht ‚Behinderte‘. Der Mensch steht im Vordergrund, nicht seine Eigenschaft. Es gibt Menschen mit Herkunft, Menschen mit Beruf und eben auch Menschen mit Behinderung.“
Ein wichtiges Element der Schulung war es, dass die Schwarzwald-Guides am eigenen Leib erfahren, was körperliche Beeinträchtigungen bedeuten. Matt hat Ausrüstungsgegenstände mitgebracht, die Behinderungen simulieren: einen Rollstuhl, der auch als Rollator fungiert und einen Blindenstock. Außerdem Gehör dämpfenden Ohrschutz, stark die Sicht beeinträchtigende Brillen, Augenklappen und Gewichte, um die Beschwernisse des Alters zu nachzustellen.
Sensibilisierung durch Selbsterfahrung
Für den Dreh haben wir einen Weg zu einem barrierefreien Aussichtspunkt in Bühl-Neusatz ausgewählt. Am Parkplatz legen die drei Schwarzwald-Guides ihre „Ausrüstung“ an. Renate Steinberger-Künstel zieht eine Augenbinde über und nimmt sich den Blindenstock. Nicolai Stotz setzt sich in den Rollstuhl. Und Matthias Kropf aus dem Naturpark Südschwarzwald stülpt sich die Gehördämpfer über und setzt eine Brille mit Gläsern auf, die den Blick verschwimmen lassen. Zudem schnallt er Gewichte um, die das Gehen erschweren. Hans-Peter Matt lässt sich ein Hilfsmittel am Rollstuhl anbringen: vorn ein größeres Rad, mit dem er besser über Unebenheiten kommt als mit den kleinen Vorderrädern. Und der Tross zieht los, immer hautnah gefilmt und interviewt vom SWR-Team.
Neue Wahrnehmung ist Teil der Inklusions-Schulung
Der Schotterweg zum Aussichtspunkt steigt nach Matts Schätzung um acht bis zehn Prozent an. Für alle drei Schwarzwald-Guides ist es anstrengend, sich zu orientieren oder die Spur zu halten. Kropf über seine Erfahrung: „Die Ohrschützer dämpfen so gut den Schall, dass ich halb taub durch die Gegend gelaufen bin. Jetzt bin ich nicht mehr der Jüngste und sehe, was auf mich zukommt. Ich mache oft Touren mit älteren Menschen, die auch mit Rollator kommen. Ich bemühe mich schon bisher, laut und deutlich zu reden und dabei den Gästen nicht den Rücken zuzuwenden. Aber das hier ist jetzt noch mal ein Hinweis, das noch konsequenter zu tun.“
Stotz im Rollstuhl erklärt auf die Fragen der Redakteurin: „Ich habe schon gemerkt, dass es auf Schotter noch anstrengender ist als auf Asphalt. Man muss auch viel gegenlenken und korrigieren, damit man in der Spur bleibt. Bei mir findet ein Umdenken statt. Ich bin sehr, sehr dankbar, dass ich nachher aus diesem Rollstuhl wieder aufstehen darf.“
Schwarzwald-Guides sollen sehen, hören und fühlen können wie Menschen mit Behinderung
Oben am Aussichtspunkt angekommen, eröffnet sich ein wunderschöner Ausblick über Obstwiesen und Weinberge Richtung Rheintal. Leider ist der Himmel wolkenverhangen und es gibt keine Fernsicht. „Das ist oder wäre schön für Menschen, die gut sehen können“, sagt Matt. „Wer aber schlecht sieht, öffnet seine anderen Sinne. Deshalb ist es wichtig, Sehbehinderten zu schildern, was es hier nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören und riechen gibt. Genau dafür sensibilisieren wir auch die Schwarzwald-Guides, damit sie verstehen, wie es beeinträchtigen Personen geht.“
Und das soll sie befähigen, ihre Touren für diese Zielgruppe zu gestalten. „Es ist wichtig für die Schwarzwald-Guides, ihre Strecke vorher abzugehen, nach Witterungsverhältnissen zu schauen, die Bodenbeschaffenheit zu betrachten und sich zu überlegen, wie mit Steigungen umzugehen ist auf Asphalt oder auf einem Forstweg. Oder wo man Mobilfunkempfang hat, wenn etwas passieren sollte. Eigentlich alles, was auch normale Wanderer beachten sollten, aber das muss für Menschen mit Behinderung noch verstärkt werden.“
Wichtig ist Matt, dass die Schwarzwald-Guides Multiplikatoren werden, nicht nur für ihre Führungen, sondern sie sollen auf Barrieren aufmerksam machen – sowohl in der Natur als auch im Alltag, in der Schule, bei der Bildung, bei der Arbeit, bis ins Seniorenalter. „Da gibt es noch sehr viel tun, dieses Thema zu transportieren, dafür zu sensibilisieren, Kommunen mitzunehmen und auf bestehende Barrieren hinzuweisen oder diese gar nicht erst entstehen zu lassen“, so Matt.
Für die Inklusions-Schulung des Naturparks soll es Fortsetzungen geben.
Den Radiobeitrag von SWR4 könnt ihr HIER lesen und anhören.
Der Fernsehbeitrag lief im SWR Fernsehen am 30. Mai in der Sendung um 19:30 Uhr. Klickt euch rein, ab Minute 23:35 geht’s los.
(Fotos: Gundi Woll, Stefan Dangel, beide Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord)
10.5.2023