Die Geroldsauer Mühle in Baden-Baden setzt auf Nachhaltigkeit und erzeugt einen großen Teil ihres Stroms mit erneuerbaren Energien selbst. Dabei setzt sie uralte Mühlentradition auf modernste Weise fort. Mit einem großen klassischen Mühlrad produziert sie zusammen mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach von Europas größtem Weißtannengebäude rund ein Drittel des gesamten Strombedarfs.
Martin Weingärtner, Inhaber der Geroldsauer Mühle, nimmt den Klimawandel ernst. „Wir beziehen Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energien“, erklärt er. „Was wir nicht selbst erzeugen, kommt von den Stadtwerken Baden-Baden, ebenfalls ausschließlich aus Wasser- und Sonnenenergie, wie hier bei uns selbst.“
Von Martin Weingand zu Martin Weingärtner
Den Weingärtners ist es gelungen, die alte Mühlentradition an diesem Standort neu zu definieren. Das beginnt schon damit, dass der Müller, der die Geroldsauer Mühle 1860 erbaut hat, ein Beinahe-Namensvetter mit Namen Martin Weingand ist. Damals trieb das Wasserrad am Grobbach sowohl eine Säge- als auch eine Kornmühle an. Vom alten Mühlengebäude und dem Wasserrad ist heute nichts mehr zu sehen. Oder fast nichts, denn die alten Porphyr-Steinquader des Hauses wurden nachhaltig wiederverwendet und fassen heute einen Teil des neu angelegten Mühlgrabens ein.
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Schon vor der ersten Beurkundung der ersten Mühle im Jahre 1859 wurde Wasserkraft im Geroldsauer Tal genutzt. -
Eine noch ältere Mühle als die von Martin Weingand, dem Erbauer der Vorgängermühle der heutigen Geroldsauer Mühle. -
Der neue Mühlgraben. -
Der Mühlgraben ist teilweise mit den Steinquadern der alten Mühle eingefasst.
Das Mühlrad „mahlt“ erneuerbare Energie
Das neue Mühlrad hingegen ist attraktiv im alten Stil gestaltet, aber mit modernster, computergesteuerter Technik ausgestattet. Das Häuschen mit dem Holzschindeldach sieht nicht nur hübsch aus, sondern schützt das Mühlrad auch vor Witterungseinflüssen. Es „schluckt“ bis zu 300 Liter Grobbach-Wasser pro Sekunde und leistet bei vier bis acht Umdrehungen pro Minute zehn bis zwölf Kilowatt pro Stunde. Das Mühlrad wird „oberschlächtig“ betrieben, das bedeutet, dass das Wasser von oben in die Schaufeln des Rads läuft. „Seit der Fertigstellung vor einem Jahr haben wir bereits 60.000 Kilowatt Strom erzeugt“, ergänzt Weingärtners Sohn Peter.
Ein Wehr leitet Wasser für die „Strommühle“ ab
Mit dem Bau des Mühlhäuschens und seinem Wasserrad war es nicht getan. Etwa 300 Meter bachaufwärts ist eine Wehranlage entstanden, die das Wasser über den neuen 250 Meter langen offenen Mühlgraben ableitet und dann über eine Distanz von 50 Metern durch eine unterirdische Rohrleitung in einen turmartigen Steigeschacht führt. Die letzten elf Meter legt das Wasser auf einem offenen „Holzkähner“ zurück, bevor es von oben auf die Schaufeln des Wasserads trifft. Die mechanische Welle des Rads treibt über ein Getriebe den Stromgenerator an.
Fischfreundliche Anlage
„Wir bekamen auch Lob von Ökologen für unsere fischfreundlichen Maßnahmen“, berichtet Martin Weingärtner stolz. Denn im Bereich der Wehranlage befindet sich eine Fischtreppe oder auch Fischpass mit neun Becken über ein 20 Meter langes und 85 Zentimeter hohes Gefälle. Der Fischpass stellt sicher, dass genügend Restwasser im Mutterbachbett verbleibt. Und sollte sich einmal ein Fisch in den Mühlgraben verirren und auf das Schaufelrad gelangen, passiert ihm nicht viel. Unter dem Rad ist das Wasser tief genug, damit er sich nicht verletzt und über den Abfluss problemlos zurück in den Grobbach gelangt. „Das passiert aber so gut wie nie“, versichert Weingärtner junior.
Vom Bus in den Biergarten
Im Zuge des Baus der Wasserkraftanlage haben die Weingärtners auch eine Holzbrücke über den Grobbach errichten lassen, die von der Bushaltestelle direkt in den Biergarten führt und den Blick auf das Mühlhäuschen freigibt. „Wir werden dort noch einen weiteren Parkplatz anlegen und so den Zugang zu unserem Gelände erleichtern“, sagt Weingärtner senior. Er plant auch Gästeführungen an der Wasserkraftanlage und später Mahlvorführungen. Dafür soll eine historische mobile Getreidemühle ans Mühlrad angeschlossen werden.
Die Mittelachse des großen Weißtannengebäudes ist – wie bei einer Kathedrale – exakt in West-Ost-Richtung ausgerichtet und läuft genau auch durch die Achse des Mühlrads. Das Wasserrad befindet sich am östlichen Rand des Biergartens. „Viele Gäste fragen immer wieder nach einem Sitzplatz beim Mühlrad“, lächelt Martin Weingärtner. „Sie freuen sich über den Anblick und das beruhigende Rauschen des Wassers.“
(Fotos: Geroldsauer Mühle, Stefan Dangel)
23.8.2021