Das kleine, unscheinbare Wiesenvögelchen hat Power: Wenn es im Frühjahr hierzulande auftaucht, hat es rund 5.000 Kilometer Rückweg hinter sich. Leider taucht es nicht mehr so oft auf wie früher. Das mag ein Grund sein, warum das Braunkehlchen mit großem Vorsprung zum Vogel des Jahres 2023 gewählt worden ist.
Nach zwei Jahren haben Abertausende von Vogelfans wieder ein Vögelchen mit einem farbigen Kehlchen zum Vogel des Jahres gewählt. Nach seinem prominenten Verwandten im Jahr 2021, dem Rotkehlchen, hat nun das Braunkehlchen (Saxicola rubetra) aus der Familie der Fliegenschnäpper mit großem Abstand den ersten Platz belegt. Der NABU (Naturschutzbund Deutschand e. V.) hat zum dritten Mal die Community online abstimmen lassen. Von knapp 135.000 abgegebenen Stimmen erhielt das Braunkehlchen allein 58.609, das machte 43,5 Prozent aus. Unter den fünf „Finalisten“ folgten weit abgeschlagen der Feldsperling (18,0 Prozent), der Neuntöter (16,4 Prozent), der Trauerschnäpper (15,6 Prozent) und das Teichhuhn (6,5 Prozent).
Das Braunkehlchen ist in Mitteleuropa stark gefährdet
Bei der Wahl geht es aber nicht nur um den beliebtesten Vogel. Der NABU rückt das Braunkehlchen mit seiner Kommunikation ins Rampenlicht und macht damit seine starke Gefährdung bewusst. Zugleich stößt der Naturschutzbund Schutzmaßnahmen damit an. Besonders der Schwund seiner Lebensräume und damit seiner Nahrungsquellen setzt dem Braunkehlchen zu. Es brütet vorzugsweise in Wiesen und Brachen, wo sich sonst auch zahlreiche Insekten tummeln. Sollten. Denn das Insektensterben ist heute schon fast sprichwörtlich geworden und wirkt sich auch drastisch auf die Vogelwelt aus, insbesondere auf Bodenbrüter wie das Braunkehlchen.
Manche dieser Vogelarten haben in den letzten Jahrzehnten in einigen Regionen um fast 90 Prozent abgenommen. Gerade in Baden-Württemberg gab es 1950 noch rund 5.000 brütende Braunkehlchenpaare, 2009 nur noch zwischen 450 und 550. Heute gibt es in ganz Deutschland zwischen 19.500 und 35.000 Brutpaare. Der Bestand in ganz Europa wird auf 5,4 bis sogar zehn Millionen Brutpaare geschätzt, wobei mehr als die Hälfte der Vögel in ihrem Kerngebiet in Skandinavien und Russland lebt. Denn weltweit gesehen ist die Vogelart noch nicht gefährdet – wenn auch rückläufig im Bestand. Nur in Mitteleuropa sieht es traurig aus.
Das Braunkehlchen braucht mehr Wiesenlandschaften
Das Braunkehlchen ist in fast allen Roten Listen Mitteleuropas verzeichnet. Gründe für seine Gefährung sind die intensive Landwirtschaft, der Einsatz von Planzenschutzmitteln und die Bodenversiegelung. Auch deshalb setzen wir uns mit unserem Projekt „Blühender Naturpark“ dafür ein, mit Wildblumenwiesen wieder mehr Lebensräume und damit Nahrungsquellen für Wildbienen, Schmetterlinge und andere heimische Insekten zu schaffen. Das kommt auch den Wiesenvögeln wie Lerche, Wiesenpieper, Rebhuhn oder eben Braunkehlchen zugute.
„Wiesenclown“
Das Braunkehlchen fällt in der bunten Vogelwelt kaum auf. Trotzdem ist es hübsch anzusehen. Die weiße Augenbinde, der so genannte „Überaugenstreif“, veranlasste die Ornithologen, es „Wiesenclown“ zu taufen. Die Kehle und die Brust sind orangebraun gefärbt, der Rücken ist braun mit dunklen Flecken. Die Weibchen sind wie bei fast allen Vogelarten etwas dezenter gefärbt. Fliegen Braunkehlchen auf, blitzt die weiße Schwanzbasis hervor.
Von April bis September ist der Vogel des Jahres in ganz Europa zu Hause, von Sibirien bis in den Mittelmeerraum. Sein idealer Lebensraum sind offene, feuchte Flächen mit nicht zu hohen Gehölzen. Für sein Nest sucht das Braunkehlchen Stellen, an denen eine Kraut- oder Zwergstrauchschicht Deckung bietet. Für den besseren Jagdüberblick braucht es aber auch höhere Kräuterstengel, Schilfhalme, Hochstauden, Zäune oder Pfähle, auf die es sich setzen kann. Seine Nahrung findet es an Plätzen mit niedrigem und lückigem Pflanzenbewuchs. Hauptsächlich frisst es Insekten, Larven, Würmer, Spinnen und kleine Schnecken, im Herbst auch Beeren und Samen.
Sein Nest baut es in einer Bodenmulde, die von hohen Halmen oder Ähnlichem getarnt ist. Seine vier bis sieben blaugrünen Eier legt es Ende April bis Anfang Juli. Elf bis 13 Tage später schlüpfen die Jungen. Wenn sie das Nest nach weiteren elf bis 15 Tagen verlassen, sind sie noch flugunfähig. Nach zwei bis vier weiteren Tagen sind sie dann flügge.
Wegen ihrer langen Anreise in den Winterurlaub bezeichnet man Braunkehlchen als Langstreckenzieher. Sie verbringen die Wintermonate im tropischen Afrika, in den Savannen und Grasländern. Dafür überqueren sie die Sahara und legen mehr als 5.000 Kilometer zurück. Sie fliegen nachts; tagsüber ruhen sie sich aus und suchen Nahrung. Nach der Winterpause in warmen Gefielden machen sie sich auf den Rückweg und fügen ihrer Jahresflugleistung noch einmal 5.000 Kilometer hinzu.
Mehr Infos zum Vogel des Jahres findet ihr HIER auf den Seiten des NABU.
(Fotos: Kathy Büscher, Heiko Stein, Psubraty, Premek Hajek – alle Pixabay)
4.1.2023