Ihr habt richtig gelesen: Wenn Schafe im Weinberg weiden, Tun sie etwas Gutes für den Klimaschutz. Das ist sogar wissenschaftlich untersucht und erwiesen. Marcus und Andrea Graf von den Affentaler Winzern tragen in Baden-Baden-Varnhalt mit ihrer Art des Weinbaus zu Nachhaltigkeit, Artenschutz und Klimaschutz bei. Eine wichtige Rolle spielen dabei der Humusaufbau und ihre 39 bretonischen Zwergschafe.
Sieben Hektar Weinberge bewirtschaften die Grafs in Varnhalt. Elf Weinsorten bringen ihre Reben hervor: Spätburgunder, Grauburgunder, Riesling, Gewürztraminer, Scheurebe, Sauvignon Blanc, Lagrein, Merlot, Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon und Chardonnay. Jährlich ernten sie rund 70.000 Kilogramm Trauben, die sie bei den Affentaler Winzern abliefern. Daraus entstehen rund 50.000 bis 60.000 Liter Wein. Anders als in Baden sonst üblich, bauen die Eheleute mehr Rot- als Weißwein an, nämlich 60 Prozent. „Ich schwimme gerne mal gegen den Strom“, lächelt Marcus Graf. Und das nicht erst seit rund eineinhalb Jahren, seit er Schafe in seinen Weinbergen weiden lässt.
Grüner Weinberg auch am Boden
Schon ab 2008 war er einer der Ersten, die zwischen den Reben Gras und Blumen wachsen ließen, um den Boden zu schonen und Kleinlebewesen einen Lebensraum zu bieten. „Ich wurde schief angesehen, denn wer das Gras einfach wachsen lässt und nicht beseitigt, gilt als Faulenzer“, schmunzelt Graf. Heute experimentiert er mit unterschiedlichen Saatmischungen, um die optimalen Bedingungen für die Kombination von Humusaufbau und Artenschutz zu ermitteln. „Das kann ein Widerspruch sein“, erläutert er. „Wenn ich zu viel Humusaufbau betreibe, wachsen die Pflanzen in den Fahrgassen zwischen den Reben höher. Dadurch gibt es dann weniger Licht für kleine bodennahe Blühpflanzen, die einige seltene Insekten brauchen. Doch durch die Auswahl angepasster mehrjähriger Blühmischungen und die Schafbeweidung lässt sich dem vorbeugen.“
Humus-Weinbau-Seminar
Mit ihrer Art des Weinbaus produziert Familie Graf nicht nur hochwertige Weine. Sie trägt durch ihren Humusaufbau auch zur Klimaanpassung bei und schafft Lebensraum für eine Vielfalt von Insekten, Kleintieren und Pflanzen. Eines ihrer Projekte ist die ganzjährige Schafbeweidung in den Weinbergen. Humusaufbau und Schafbeweidung waren die Themen eines Seminars, das der Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord am 3. August 2023 auf dem Weingut Graf veranstaltete.
Weidetiere sind gut für den Boden
„Doppelnutzungsformen sind in der Landwirtschaft ein wesentliches Instrument dafür, die Produktivität und ökologische Wertigkeit einer Fläche zu steigern“, sagt Paul Hofmann, Projektmanager des Humusprojekts beim Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord und auch selbst Landwirt. „Weidetiere in der Landschaft, insbesondere Wiederkäuer, helfen maßgeblich dabei, natürliche Nährstoffkreisläufe zu beschleunigen und das Bodenleben zu (re)aktivieren. Andererseits entstehen durch die Beweidung als schonendste Form der Bewirtschaftung erhebliche Vorteile für die Artenvielfalt.“ Naturpark-Klimaschutzmanagerin Sarina Sievert ergänzt: „Gerade in der heutigen Zeit ist das eine sehr smarte Lösung. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil die Schafe auf ganz natürliche Weise eine wichtige Rolle bei der Anpassung an den Klimawandel im Weinberg spielen können.“
Was bringen Schafe im Weinberg?
Schafe halten das Gras zwischen den Reben niedrig und entblättern die Traubenzone schonend. Dabei kann man aber die Wollknäuel nicht sich selbst überlassen. Das Ziel ist zwar, sie das ganze Jahr im Weinberg weiden zu lassen. Aber wenn im Frühjahr die Reben Knospen treiben und dann blühen, werden die Schafe mit elektrischen Litzen davon abgehalten, sich diese Leckerbissen schmecken zu lassen. Dann folgt im Sommer eine sechs- bis achtwöchige Phase, in der sich die Weintrauben bilden und noch grün und sauer sind. Daran haben die Schafe kein Interesse, aber sie fressen die Blätter um die Trauben herum ab. Das ist gewollt. „So bekommen die Trauben Licht und Luft und sind besser gegen Krankheiten geschützt“, erläutert Graf. Wenn die Früchte reifen und süß werden, muss man sie wieder vor den Schafen schützen.
Mit Biss und Schiss für den Klimaschutz
Als „Rasenmäher“ machen die Zwergschafe gleichzeitig den Einsatz von Herbiziden sowie einige Überfahrten (Mulchen, Fräsen, Mähen, Unterstockpflege) überflüssig. „Speziell für schwer befahrbare Steillagen, für Reben in Umkehrerziehung und beim Minimalschnitt sind Schafe eine ökonomisch hochinteressante Alternative zur maschinellen und menschlichen Arbeitskraft“, sagt Jakob Hörl von der Universität Hohenheim beim Humus-Weinbau-Seminar. Er koordinierte das Projekt „Schafe im Weinberg“ an der Hochschule Rottenburg und dem Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg. „Die Universität hat im Forschungsprojekt selbst Schafe gehalten. Wir waren überrascht vom Erfolg des Projekts, mit so guten Ergebnissen hätten wir nicht gerechnet“, so Hörl. Und dass auch die Konsumenten den „Schafwein“ schätzen, war ein weiteres Ergebnis der Forschungsarbeiten. „Sie sind bereit, bis zu 20 Prozent mehr für Wein aus einem Weinberg auszugeben, der ökologisch und nachhaltig von Schafen gepflegt wird.“
Schafe im Weinberg ersparen Arbeitsschritte
Durch den Einsatz von Schafen, die Winzerinnen und Winzer entweder selbst halten oder die Beweidung als Dienstleistung von Schäfern in Anspruch nehmen, können weinbauliche Arbeitsschritte von den Schafen übernommen werden. Gleichzeitig stabilisieren sie durch ihren „Goldenen Tritt“ den Oberboden, helfen bei der Anpassung an Extremwetterereignisse (Trockenheit, Starkregen) und sichern so ihre Weinberge besser gegen den Klimawandel. Wiederkäuer wie Schafe stärken durch ihren Dung auf natürliche Weise ökologische Prozesse wie etwa ein weidetypisch vitales Bodenleben, die von Menschen oder Maschinen nur schwer ausgeführt werden können.
Partner der Naturpark-Schule
Graf ist mit seinem Weingut auch Partner der Grundschule Varnhalt/Neuweier, die im Juli zur Naturpark-Schule ausgezeichnet wurde. So haben die Schulkinder in einem Modul in seinem Weinberg nicht nur Schafe gestreichelt, sondern gelernt, wie man Reben einpflanzt und sie pflegt. „Sie durften beispielsweise auch mit der Schere arbeiten und unter Anleitung die Reben schneiden“, erzählt der Winzer.
Artenvielfalt unter den Hufen
Die Anwesenheit der Schafe fördert die Vielfalt und Häufigkeit von Insekten, Klein- und Mikrolebewesen, die sonst in dieser Varietät im Weinberg nicht zu finden ist. Denn Zikaden, Heuschrecken und Schmetterlinge kommen mit dem Mulchen der Vegetation nicht zurecht, da dadurch ihr Lebensraum schlagartig verändert wird. Die Beweidung hingegen wirkt strukturerhaltend und schafft wertvolle Mikrohabitate, wie Dunghaufen und Offenbodenstellen. Schafe tragen damit maßgeblich zu einer ganzheitlichen Bewirtschaftung von Weinbergen bei und sind folglich wichtig für eine Humus fördernde Landnutzung.
„Unsere Schafe sorgen dafür, dass die Natur für uns arbeitet“, fasst es Graf zusammen. Er setzt derzeit 39 Tiere der Rasse „Ouessant“ ein, bretonische Zwergschafe. „Sie sind robust, unkompliziert und klein“, sagt der Winzer. „So fressen sie nur die unteren Weinblätter ab, legen die Trauben frei, die so vor zu viel Feuchtigkeit und damit vor Fäulnis geschützt sind, und verdichten durch ihr geringes Gewicht nicht zu sehr den Boden.“ Im Weinberg vor seinem Haus zeigt er den Seminarteilnehmenden, wie zutraulich und verschmust seine Zwergschafe sind. „Das hier sind die Böcke. Man kann sie wunderbar am Hals streicheln. Aber wehe, man dreht ihnen den Rücken zu.“
Hintergrund: So schützt Humus das Klima
Humus schützt das Klima, indem er der Atmosphäre klimaschädliches CO₂ entzieht. Durch eine Erhöhung des Humusgehalts im Boden um nur ein Prozent werden der Atmosphäre pro Hektar etwa 50 Tonnen CO₂ entzogen. Humus macht die Böden zudem resistenter für die immer häufiger auftretenden Trockenphasen. Denn er speichert hervorragend Wasser und Nährstoffe. „Das macht die Böden fruchtbarer und ertragreicher. Letztlich trägt das auch zur Qualität der Trauben bei. Außerdem fördert Humus die Biodiversität“, erklärt Naturpark-Projektmanager Paul Hofmann beim Humus-Weinbau-Seminar in Baden-Baden.
So funktioniert das Naturpark-Humusprojekt
Die teilnehmenden Landwirtinnen und Landwirte können auf ein umfangreiches Weiterbildungsangebot zugreifen. In den Seminaren erhalten sie das notwendige Wissen zu Bodenprozessen und Techniken zum Humusaufbau. Zum Angebot gehören mehrtägige Basiskurse, themenspezifische Aufbaumodule, Feldtage auf beispielhaften Höfen und regelmäßige Humus-Treffen zum Praxis-Austausch.
Die Inhalte gestalten die Projektmanager des Naturparks, Paul Hofmann und Sarina Sievert, gemeinsam mit renommierten Fachleuten aus dem Bereich der regenerativen Landwirtschaft. „Sich auszutauschen und über die unterschiedlichen Möglichkeiten informiert zu sein ist sehr wichtig, weil die Maßnahmen individuell auf den Betrieb abgestimmt sein müssen“, erklärt Hofmann. Bei der Durchführung des Projekts kooperiert der Naturpark mit dem gemeinwohl-orientierten Unternehmen positerra.
Eine finanzielle Unterstützung für Landwirtschaft und Weinbau bei der Umstellung auf eine regenerative Landwirtschaft ermöglichen regionale Partnerschaften. Emittenten wie Unternehmen und Institutionen gleichen über Humusprämien regional einen Teil ihrer Emissionen aus und helfen so dabei, Humus aufzubauen. Es handelt sich um einen freiwilligen Beitrag zum Klimaschutz, nicht um den Erwerb von Zertifikaten zur Kompensation.
Teilnehmende Emittenten können über den Naturpark direkt nachvollziehen, in welchen Partnerbetrieben ihre Emissionen ausgeglichen werden. „Das stärkt das Bewusstsein für die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte und schafft vielfältige Möglichkeiten für eine vertiefte, partnerschaftliche Zusammenarbeit“, sagt Hofmann vom Naturpark.
(Fotos: Stefan Dangel)
4.8.2023